Gute HR-Arbeit ist keine Raketenwissenschaft

April
25
,
2024
2024
Ulvi AYDIN
Aycon Experten-Talk: „Gute HR-Arbeit ist keine Raketenwissenschaft!“ Heute hatte ich im Experten-Talk Matthias Krebs zu Gast. Matthias ist ein junger HR-Interim Manager und Führungskraft mit innovativen Ansätzen. Er ist ganz gewiss kein Verwalter – sondern sorgt dafür, dass sich HR-Abteilungen zu Gestaltern mit Tatendrang weiterentwickeln. Ein Gespräch über New Work, Herausforderungen in der Personalbeschaffung, Kultur – und die richtige Wertschätzung über den gesamten Employee-Life-Cycle. Matthias, stell dich bitte einmal vor. Ich heiße Matthias Krebs und bin 41 Jahre jung. Seit gut vier Jahren bin ich HR-Interim Manager. Mein Werdegang ist nicht sehr geradlinig: Ich wollte Fußballprofi werden, was knapp gescheitert ist. Und so bin ich in den Bereich Sales und Marketing gekommen, wo ich auch relativ früh Personalverantwortung im Vertrieb übernehmen durfte. Dort habe ich festgestellt: Ein guter Vertrieb steht und fällt mit dem Personal, das Produkt steht dabei gar nicht so sehr im Vordergrund. Und so habe ich mich zunehmend mit Personal beschäftigt und hatte Spaß daran, Mitarbeiter selbst zu rekrutieren und Low-Performer-Teams zu absoluten High-Performern zu entwickeln. 2017 habe ich mich dann mit einer eigenen Personalberatung selbständig gemacht. Dort habe ich auf der einen Seite klassisch Mitarbeitende vermittelt – und auf der anderen Seite HR-Prozesse gestaltet sowie HR-Strategien und -Konzepte entwickelt. Darüber bin ich dann zum Interim Management gekommen. Und nun bin ich seit über vier Jahren HR-Interim Manager mit Schwerpunkt Personalbeschaffung. Die Personalbeschaffung besteht aus drei tragenden Säulen. Recruitment, Employer Brand und Corporate Culture. Entsprechend diesen Säulen führe ich Unternehmen strategisch und operativ in die Zukunft der Arbeitswelt. Meine Schwerpunkte liegen im Aufbau, in der Optimierung und Transformation von Personalbeschaffungsprozessen-/Strukturen-/Strategien sowie dem Auf- und Ausbau von Geschäftsbereichen bis hin zu Unternehmensgründungen. Mein Expertengebiet ist die Restrukturierung der Personalbeschaffung mit meinem eigenentwickelten RecruitTHREE60®-Konzept.Oder kurz gesagt: Ich sorge dafür, dass Unternehmen im Zuge der rasanten Veränderung der Arbeitswelt vollumfänglich zukunftsfähig aufgestellt sind. Wie würdest du die größte Herausforderung bei der Umstrukturierung von Personalbeschaffungsprozessen in traditionellen Industrien wie der Werkzeugbranche oder dem Maschinenbau beschreiben? Die größten Herausforderungen in Unternehmen liegen weniger in den Prozessen selbst, sondern vielmehr beim Mindset der Menschen. Vor allem die Verantwortlichen müssen erkennen, dass HR die wichtigste Abteilung im Unternehmen ist. Menschen sind der Game-Changer Nummer eins für Unternehmensentwicklungen. Sie sind wichtiger als das Produkt selbst. In erfolgreichen Unternehmen steht der Mensch stets im Mittelpunkt. Die Amerikaner sagen so schön: „Change thinking, before you change things.“ Sehr schön! Ich unterscheide hier auch zwischen veränderungswillig und veränderungsfähig. Veränderungswillig sind einige, aber veränderungsfähig sind nur sehr wenige. Es ist wichtig, diese Personen zu unterstützen und sie auf dem Weg mitzunehmen. Besonders in meiner Branche, die sehr traditionell ist und oft entweder keine oder nur schwach ausgeprägte HR-Prozesse hat, besteht die größte Herausforderung darin, die richtige Einstellung zu Veränderungen zu etablieren. Du hast das RecruitTHREE60®-Konzept entwickelt, um Unternehmen nachhaltig und zukunftsfähig auszurichten. Kannst du erläutern, was dieses Konzept genau beinhaltet und wie es sich von anderen HR-Strategien unterscheidet? RecruitTHREE60®ist ein dreistufiges strategisches und operatives New-Work-Management-Konzept zur Restrukturierung der Personalbeschaffung in den drei tragenden Säulen Recruitment, Employer Branding und Corporate Culture. Ziel dieses Konzeptes ist es, Organisationen durch den anspruchsvollen Change-Prozess zu führen – sowohl strategisch als auch operativ. Anstatt kurzfristig und sehr kostspielig nur die Symptome eines Engpasses zu lösen, geht mein Konzept die Ursachen des Personalmangels an – und ist somit nachhaltig wirksam. Welche Ursachen sind das? Die Ursachensind vielfältig. Das kann der alleine der Personalmangel sein, eine hohe Krankenquote, mangelnde Performance, niedrige Leistungsbereitschaft, hohe Fluktuation und ganz viele weitere. Die entsprechende Lösung liegen immer in den zehn ineinandergreifenden strategischen und operativen Handlungsfeldern der Personalbeschaffung, also: Mindset, Corporate Culture, Benefits, Attraction, Recruitment sowiePre- & Onboarding, Development, Performance, Retention, Offboarding. Und diese Ursachen gehen ich an. Das Konzept gliedert sich in drei Phasen: 1. Umfassende IST-Analyse In dieser Phase erfolgt eine umfangreiche Analyse der Personalbeschaffung in den Hauptbereichen Recruitment, Employer Branding und Corporate Culture, wobei Kennzahlen (KPIs) eine wichtige Rolle spielen. Eine detaillierte Abschlusspräsentation dokumentiert den aktuellen Stand in zehn Handlungsfeldern und stellt Handlungsbedarf heraus. 2. Operative Umsetzung strategischer Ziele In der zweiten Phase leiten wir konkrete Maßnahmen für die Transformation oder Restrukturierung ab und setzen diese um. Dabei konzentrieren wir uns auf die Bereiche Recruitment, Unternehmenskultur und Employer Branding, um die Leistung zu steigern. Dies trägt dazu bei, das Unternehmensergebnis zu verbessern, da zufriedene Mitarbeitende mehr zum Unternehmenserfolg beitragen. 3. Überprüfung und Beratung Der letzte Schritt umfasst die Überprüfung, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden. Anschließend biete ich weiterführende strategische Beratung und Sparring auf Augenhöhe an, um langfristige Erfolge zu sichern. Meine Erfahrung aus 19 Jahren Interim Management ist: Alle Personalabteilungen, die ich bisher gesehen habe, sind verwaltende Abteilungen, keine gestaltenden. Und davon müssen Personalabteilungen wegkommen – und mehr zu aktiven Gestaltern werden, die nicht dem CFO unterstehen, sondern eigenen Kabinettsrang haben. Absolut! Das fordere ich auch in meinen Mandaten ein, dass ich als Teil des Management Board als Chief Recruiting Officer in der Geschäftsführung sitze, der das Thema Personalbeschaffung mit den drei Säulen Branding, Kultur und Recruiting verantwortet. Denn der CFO ist weit weg vom Thema HR, die sich auch ständig weiterentwickelt und somit ein wesentlicher Teil der Strategie sein muss. Wie würdest du HR heute beschreiben? Kurz ausgedrückt: Recruiting ist heute Sales, Employer Branding ist Marketing – und Corporate Culture ist Strategie und Nachhaltigkeit! Und das passt wunderbar zu mir, weil ich ja kein klassischer HR-ler bin, sondern aus dem Bereich Sales und Marketing komme. Und hier möchte ich den Bogen zu deiner Aussage spannen, Ulvi, dass HR weniger verwalten und mehr gestalten muss: Dafür sind teilweise auch neue, andere Persönlichkeiten notwendig! Und eine andere Narrative. Eine harte Frage, die ich Kunden immer wieder stelle, lautet: Was ist der Zweck der Existenz Ihres Unternehmens? Und wenn als Antwort dann kommt „Wir verkaufen Dachziegel“, fehlt eben das entsprechende Storytelling. Besser wäre: „Wir sorgen dafür, dass Sie ein Dach über dem Kopf haben“, „dass sie bei Regen nicht nass werden“ etc. Solche emotionalen und wertegeladenen Geschichten sind nicht nur für Kunden gut, sondern eben auch für potenzielle Bewerber. Das sehe ich ähnlich. Wer für Greenpeace arbeitet, braucht kein Purpose, weil er weiß, wo er ist und was er macht. Es gibt also eine sinnstiftende Arbeit. Für einen Dachziegelhersteller muss so ein Purpose aber erstmal entwickelt werden. Nun heißt es ja oftmals, dass zwei Drittel der Mitarbeitenden bereits innerlich gekündigt hätten. Wie gehst du mit solchen Menschen um, damit sie wieder Spaß bei der Sache haben? Genau aus diesem Grund konzentriere ich mich nicht nur auf das Recruiting, sondern integriere die Bereiche Recruiting, Employer Branding und Unternehmenskultur unter einem gemeinsamen Dach. Alles beginnt immer mit der Kultur. Ein praktisches Beispiel: Ein Unternehmen hatte kürzlich 20 bis 30 Mitarbeiter in sehr kurzer Zeit verloren und fand keine Nachfolger. Mein Auftrag wäre es gewesen, eine Employer-Branding-Strategie zu entwickeln und das Recruiting zu leiten. Ich hätte diese Aufgabe einfach übernehmen können, aber das hätte nur kurzfristig das Problem überdeckt. Stattdessen habe ich nach den Gründen für die Kündigungen gefragt und herausgefunden, dass es sich um ein kulturelles Problem handelte. Hätte ich lediglich eine Branding-Strategie und das Recruiting umgesetzt, wären bald erneut Mitarbeiter gegangen, da die Unternehmenskultur nicht den aktuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter entsprach. Das wäre nicht nachhaltig gewesen. Deshalb beginne ich immer mit der Kultur. Mein Ansatz ermöglicht es, genau zu analysieren, in welchen Bereichen das Unternehmen gut aufgestellt ist und wo es noch professionelle Unterstützung benötigt. Bevor du diesen ganzheitlichen Ansatz fahren kannst, musst du die Verantwortlichen doch erst einmal überzeugen. Absolut. Das richtige Mindset muss schon in der Geschäftsführung vorhanden sein. Nur, wenn das Top-Management versteht, dass die Menschen das wichtigste Gut im Unternehmen sind, kann mein Ansatz greifen. Wenn dieses Mindset nicht gegeben ist, kann ich das Unternehmen nicht weiterentwickeln. Und das thematisierst du in deinem Vortrag „Personal – der Game-Changer Nr.1“? In meinem etwa 45-minütigen Impulsvortrag ziele ich darauf ab, Personalentscheider und Topmanager für zukünftig relevante New-Work-Themen zu sensibilisieren. Ich erörtere, wie sie ihre Unternehmen durch Anpassungen in Prozessen und Strukturen zukunftsfähig gestalten können und dass das letztendlich auch ihr Unternehmensergebnis verbessert. Dabei gehe ich ins Detail und präsentiere konkrete Ansätze, die Verantwortliche umsetzen können, um sich effektiv auf die Zukunft vorzubereiten. Interessanterweise sind diese Maßnahmen oft nicht mit hohen Kosten verbunden. Es geht vielmehr darum, die richtigen Hebel in Bewegung zu setzen und zu wissen, welche KPIs besonders aussagekräftig sind. Kannst uns einen solchen Hebel nennen? Klar. Nehmen wir das Bewerber-Management-System und die Frage: Wie schaffen wir es, dass mehr Bewerbungen auf unsere Stellen bei uns ankommen? Die Antwort ist einfach: Wir sollten die Hürden für eine Bewerbung so niedrig wie möglich halten. Dieser Ansatz ist vergleichbar mit dem Check-out-Prozess im E-Commerce: Je mehr Hindernisse ein Käufer überwinden muss, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er den Kaufvorgang abbricht. Bei Bewerbungen verhält es sich ähnlich. Warum ist es notwendig, dass Kandidaten stets ein Motivationsschreiben einreichen? Für die erste Auswahlphase genügt es, zu wissen, dass eine Person die erforderlichen Qualitäten hat oder das Potenzial besitzt, diese zu entwickeln. Sogar der Lebenslauf könnte durch einen einfachen LinkedIn-Link ersetzt werden. Indem Unternehmen niedrigere Bewerbungshürden setzen, steigern sie die Wahrscheinlichkeit, mehr Bewerbungen zu erhalten. In einer späteren Phase können dann weitere Unterlagen angefordert werden, aber initial sollte der Bewerbungsprozess möglichst einfach gestaltet sein. Über diese Thematik spreche ich in meinem Vortrag. Gibt es bestimmte Standards, die heute in einer neuen Generation nicht mehr verhandelbar sind? Kicker und Obstkörbe sind heute nicht mehr die Anreize, die sie einmal waren; sie sind zum Standard geworden und gehören nicht mehr in eine Stellenanzeige. Zudem sollten wir die Generation Z nicht unterschätzen. Diese jungen Menschen möchten etwas bewirken und sind sehr gestaltungsfreudig. Ihr Ansatz unterscheidet sich jedoch von anderen Generationen: Sie schätzen die Freiheit, beispielsweise vier Wochen in Portugal surfen zu können und dabei aus dem Home-Office zu arbeiten. Dies verdeutlicht, dass sich die Art und Weise, wie gearbeitet und wie Arbeit in das Privatleben integriert wird, wandelt. Um solche Bewerber zu gewinnen, müssen Unternehmen heute sehr flexibel sein – und neuen Beschäftigungsmodellen offen gegenüberstehen. Wie misst du den Erfolg deiner HR-Projekte? Gibt es spezifische KPIs oder Feedback-Systeme, die du bevorzugst? Das kommt immer auf die Unternehmenssituation an. Ich habe für mich ungefähr 30 relevante KPIs definiert, die erfolgskritisch sind. Als Beispiel: Ein wichtiger Wert, den Unternehmen heute kennen sollten, ist die „Time-to-Hire“, also die Zeit, die benötigt wird, um eine offene Stelle zu besetzen. Der Durchschnitt liegt aktuell bei 122 Tagen. Je länger eine Stelle unbesetzt bleibt, desto kostspieliger wird es für das Unternehmen. Ein weiteres KPI ist als Beispiel die „Time-to-Response“, die durchschnittliche Zeitspanne vom Bewerbungseingang bis zum Erstkontakt. Die liegt in TOP-Unternehmen unter 2 Stunden. Das ist wie die Reaktionszeit beim Service. Genau. Eine schnelle Rückmeldung hat einen großen Einfluss darauf, wie sich Kunden oder eben Bewerberinnen behandelt fühlen. Eine schnelle, wenn auch vorläufige Antwort wie „Vielen Dank für Ihre Bewerbung, wir melden uns morgen bei Ihnen“ kann bereits einen positiven Eindruck hinterlassen. Die Krankenquote pro Abteilung ist ein weiterer KPI, der aufschlussreich sein kann. Eine überdurchschnittlich hohe Krankenquote in einer Abteilung kann auf Probleme wie zu hohen Arbeitsdruck oder allgemein eine negative Arbeitskultur hinweisen. Ebenso ist die Fluktuationsquote von großer Bedeutung, da sie viel über die Organisationskultur aussagt. Solche KPIs sind für Unternehmen wichtig, denn sie liefern unverfälschte Daten und dienen als Frühwarnsystem für potenzielle Probleme. Oder, wie wir im Sport sagen: Die Tabelle lügt nicht. Ich empfehle Unternehmen immer, sich auf der Bewertungsplattform Kununu umzusehen, um ein klares Bild davon zu bekommen, wie sie wahrgenommen werden. Es gibt oft einen Unterschied zwischen dem eigenen Selbstbild (Image) und der Außenwahrnehmung (Reputation). Wenn Image und Reputation übereinstimmen und beide positiv sind, zeigt das, dass das Unternehmen vieles richtig macht. Dies ist ein wichtiger Indikator für die Attraktivität eines Unternehmens als Arbeitgeber. Genau, ich sehe das Employer-Branding als das Image des Unternehmens an, während die Reputation letztendlich die wahre Unternehmenskultur widerspiegelt. Die Plattform Kununu ist besonders empfehlenswert, weil potenzielle Bewerber dort nicht nur einen Einblick in die tatsächliche Unternehmenskultur erhalten, sondern auch erfahren können, wie das Unternehmen mit Mitarbeitenden im Trennungsprozess umgeht. Ich habe sogar Fälle erlebt, in denen entlassene Mitarbeiter eine positive Bewertung auf Kununu hinterlassen haben, weil der Trennungsprozess und das Off-Boarding transparent und sozialverträglich gestaltet waren. Dies zeigt, dass sie sich auch in dieser letzten Phase des Employee-Life-Cycles gut betreut fühlten. Off-Boarding, ein spannendes Thema. Ein professionelles Off-Boarding ist vielen Unternehmen wohl gar nicht bewusst. Offen gestanden: Ich kannte dieses Wort auch nicht. Ein weiteres, oft unterschätztes Konzept ist das „Pre-Boarding“, also die Betreuungsphase zwischen dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung und dem eigentlichen Arbeitsbeginn eines neuen Mitarbeiters. Diese Phase kann zwischen vier Wochen und sechs Monaten liegen – und sie ist kritisch, da in dieser Zeit viel passieren kann, was die Entscheidung des neuen Mitarbeiters beeinflussen könnte. Nehmen wir an, der Vertrag ist unterschrieben, und der Arbeitsbeginn ist in drei Monaten. Wenn in dieser Zeit keinerlei Kontakt zwischen dem neuen Mitarbeiter und dem Unternehmen besteht, bleibt die Bindung schwach. Sollte sich dann ein anderer Personaler mit einem attraktiven Jobangebot melden, könnte der neue Mitarbeiter geneigt sein, dieses Angebot zumindest in Betracht zu ziehen, da keine starke Bindung zum neuen Arbeitgeber besteht. Ein gegenteiliges Szenario wäre, wenn die neue Mitarbeiterin bereits innerhalb kürzester Zeit nach der Vertragsunterzeichnung eine herzliche Nachricht via WhatsApp von einem Personalverantwortlichen, einem Vorgesetzten oder einem Teammitglied erhält, wie zum Beispiel: „Wir freuen uns auf dich! Bald geht es los!“ oder „Wir möchten dich schon mal zum nächsten Team-Event einladen, hast du Lust?“ Solche Gesten können auf emotionaler Ebene eine Bindung und ein inneres Engagement bei der neuen Mitarbeiterin fördern. Erhält sie nun ein anderes Jobangebot, wird sie wahrscheinlich anders darauf reagieren. Das verdeutlicht, wie wichtig Kultur, Wertschätzung und effektives Employer-Branding sind – und das alles ist keine Raketenwissenschaft! Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Wie gehst du in deiner Arbeit mit dem Thema der digitalen Transformation und New Work um? Zum Thema New Work sage ich immer, man muss nicht über jedes Stöckchen springen, nicht jeder braucht eine Vier-Tage-Woche. Aber: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass die Babyboomer weniger werden. Und wir müssen uns mit Menschen beschäftigen, die werteorientierte Unternehmen bevorzugen. Das heißt, die Unternehmenskultur und somit auch das Thema Employer-Branding werden zunehmend wichtiger. Das sind die größten Herausforderungen. Der Personalmangel ist nur eine Nebenerscheinung. Wer heute eine Kultur etabliert, mit der sich die Mitarbeitenden identifizieren können – und dann noch gutes Branding macht – hat es im reinen Recruiting hinterher leicht. Kritiker könnten argumentieren, dass interimistische HR-Führungskräfte nur kurzfristige Lösungen bieten und möglicherweise nicht tief genug in die Unternehmenskultur eintauchen können, um einen langfristigen Wandel zu bewirken. Was entgegnest du solchen Kritiken? Ich lege Wert darauf, nachhaltig zu wirken. Die Maßnahmen, die ich implementiere, sollen dem Unternehmen langfristige Vorteile bieten. Ich entwickle Ziele und Maßnahmen nicht im Alleingang, sondern in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Mitarbeitern. Sobald diese die Änderungen in ihrer Kultur und ihren Handlungsweisen verankert haben, sehe ich meine Aufgabe als erfüllt an. Deshalb biete ich ein 360-Grad-Konzept an, das darauf abzielt, Probleme nicht nur oberflächlich zu behandeln, sondern die Ursachen grundlegend anzugehen und dauerhafte Veränderungen zu bewirken. Ich arbeite daran, HR-Abteilungen so umzugestalten, dass sie sich von der reinen Verwaltungsfunktion lösen und zu proaktiven Gestaltern werden. Dazu biete ich Sparring-Sessions an, in denen ich die Beteiligten über einen bestimmten Zeitraum hinweg weiter begleite und challenge, um ihre Fähigkeiten zu verbessern.
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"Gute HR-Arbeit ist keine Raketenwissenschaft!"
Über neue Impulse in der HR

:devider:

Heute hatte ich im Experten-Talk Matthias Krebs zu Gast. Matthias ist ein junger HR-Interim Manager und Führungskraft mit innovativen Ansätzen. Er ist ganz gewiss kein Verwalter – sondern sorgt dafür, dass sich HR-Abteilungen zu Gestaltern mit Tatendrang weiterentwickeln.

Ein Gespräch über New Work, Herausforderungen in der Personalbeschaffung, Kultur – und die richtige Wertschätzung über den gesamten Employee-Life-Cycle.

:devider:

Matthias, stell dich bitte einmal vor.

Ich heiße Matthias Krebs und bin 41 Jahre jung. Seit gut vier Jahren bin ich HR-Interim Manager. Mein Werdegang ist nicht sehr geradlinig: Ich wollte Fußballprofi werden, was knapp gescheitert ist. Und so bin ich in den Bereich Sales und Marketing gekommen, wo ich auch relativ früh Personalverantwortung im Vertrieb übernehmen durfte.

Dort habe ich festgestellt: Ein guter Vertrieb steht und fällt mit dem Personal, das Produkt steht dabei gar nicht so sehr im Vordergrund. Und so habe ich mich zunehmend mit Personal beschäftigt und hatte Spaß daran, Mitarbeiter selbst zu rekrutieren und Low-Performer-Teams zu absoluten High-Performern zu entwickeln.

Matthias Krebs - (Foto: neuessichten – Detlef Szillat)

2017 habe ich mich dann mit einer eigenen Personalberatung selbständig gemacht. Dort habe ich auf der einen Seite klassisch Mitarbeitende vermittelt – und auf der anderen Seite HR-Prozesse gestaltet sowie HR-Strategien und -Konzepte entwickelt. Darüber bin ich dann zum Interim Management gekommen. Und nun bin ich seit über vier Jahren HR-Interim Manager mit Schwerpunkt Personalbeschaffung.

Die Personalbeschaffung besteht aus drei tragenden Säulen.

- Recruitment

- Employer Branding

- Corporate Culture

Entsprechend diesen Säulen führe ich Unternehmen strategisch und operativ in die Zukunft der Arbeitswelt. Meine Schwerpunkte liegen im Aufbau, in der Optimierung und Transformation von Personalbeschaffungsprozessen-/Strukturen-/Strategien sowie dem Auf- und Ausbau von Geschäftsbereichen bis hin zu Unternehmensgründungen.

Mein Expertengebiet ist die Restrukturierung der Personalbeschaffung mit meinem eigenentwickelten RecruitTHREE60®-Konzept.Oder kurz gesagt: Ich sorge dafür, dass Unternehmen im Zuge der rasanten Veränderung der Arbeitswelt vollumfänglich zukunftsfähig aufgestellt sind.

Wie würdest du die größte Herausforderung bei der Umstrukturierung von Personalbeschaffungsprozessen in traditionellen Industrien wie der Werkzeugbranche oder dem Maschinenbau beschreiben?

Die größten Herausforderungen in Unternehmen liegen weniger in den Prozessen selbst, sondern vielmehr beim Mindset der Menschen. Vor allem die Verantwortlichen müssen erkennen, dass HR die wichtigste Abteilung im Unternehmen ist. Menschen sind der Game-Changer Nummer eins für Unternehmensentwicklungen. Sie sind wichtiger als das Produkt selbst. In erfolgreichen Unternehmen steht der Mensch stets im Mittelpunkt.

Die Amerikaner sagen so schön: „Change thinking, before you change things.“

Sehr schön! Ich unterscheide hier auch zwischen veränderungswillig und veränderungsfähig. Veränderungswillig sind einige, aber veränderungsfähig sind nur sehr wenige. Es ist wichtig, diese Personen zu unterstützen und sie auf dem Weg mitzunehmen. Besonders in meiner Branche, die sehr traditionell ist und oft entweder keine oder nur schwach ausgeprägte HR-Prozesse hat, besteht die größte Herausforderung darin, die richtige Einstellung zu Veränderungen zu etablieren.

:devider:

Du hast das RecruitTHREE60®-Konzept entwickelt, um Unternehmen nachhaltig und zukunftsfähig auszurichten. Kannst du erläutern, was dieses Konzept genau beinhaltet und wie es sich von anderen HR-Strategien unterscheidet?

RecruitTHREE60®ist ein dreistufiges strategisches und operatives New-Work-Management-Konzept zur Restrukturierung der Personalbeschaffung in den drei tragenden Säulen Recruitment, Employer Branding und Corporate Culture. Ziel dieses Konzeptes ist es, Organisationen durch den anspruchsvollen Change-Prozess zu führen – sowohl strategisch als auch operativ. Anstatt kurzfristig und sehr kostspielig nur die Symptome eines Engpasses zu lösen, geht mein Konzept die Ursachen des Personalmangels an – und ist somit nachhaltig wirksam.

Welche Ursachen sind das?

Die Ursachensind vielfältig. Das kann der Personalmangel an sich sein, eine hohe Krankenquote, mangelnde Performance, niedrige Leistungsbereitschaft, hohe Fluktuation und ganz viele weitere. Die entsprechende Lösung liegen immer in den zehn ineinandergreifenden strategischen und operativen Handlungsfeldern der Personalbeschaffung, also: Mindset, Corporate Culture, Benefits, Attraction, Recruitment sowiePre- & Onboarding, Development, Performance, Retention, Offboarding. Und diese Ursachen gehen ich an.

Das Konzept gliedert sich in drei Phasen:

1.     Umfassende IST-Analyse

In dieser Phase erfolgt eine umfangreiche Analyse der Personalbeschaffung in den Hauptbereichen Recruitment, Employer Branding und Corporate Culture, wobei Kennzahlen (KPIs) eine wichtige Rolle spielen. Eine detaillierte Abschlusspräsentation dokumentiert den aktuellen Stand in zehn Handlungsfeldern und stellt Handlungsbedarf heraus.

2.     Operative Umsetzung strategischer Ziele

In der zweiten Phase leiten wir konkrete Maßnahmen für die Transformation oder Restrukturierung ab und setzen diese um. Dabei konzentrieren wir uns auf die Bereiche Recruitment, Unternehmenskultur und Employer Branding, um die Leistung zu steigern. Dies trägt dazu bei, das Unternehmensergebnis zu verbessern, da zufriedene Mitarbeitende mehr zum Unternehmenserfolg beitragen.

3.     Überprüfung und Beratung

Der letzte Schritt umfasst die Überprüfung, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden. Anschließend biete ich weiterführende strategische Beratung und Sparring auf Augenhöhe an, um langfristige Erfolge zu sichern.

:devider:

Meine Erfahrung aus 19 Jahren Interim Management ist: Alle Personalabteilungen, die ich bisher gesehen habe, sind verwaltende Abteilungen, keine gestaltenden. Und davon müssen Personalabteilungen wegkommen – und mehr zu aktiven Gestaltern werden, die nicht dem CFO unterstehen, sondern eigenen Kabinettsrang haben.

Absolut! Das fordere ich auch in meinen Mandaten ein, dass ich als Teil des Management Board als Chief Recruiting Officer in der Geschäftsführung sitze, der das Thema Personalbeschaffung mit den drei Säulen Branding, Kultur und Recruiting verantwortet. Denn der CFO ist weit weg vom Thema HR, die sich auch ständig weiterentwickelt und somit ein wesentlicher Teil der Strategie sein muss.

Wie würdest du HR heute beschreiben?

Kurz ausgedrückt: Recruiting ist heute Sales, Employer Branding ist Marketing – und Corporate Culture ist Strategie und Nachhaltigkeit! Und das passt wunderbar zu mir, weil ich ja kein klassischer HR-ler bin, sondern aus dem Bereich Sales und Marketing komme. Und hier möchte ich den Bogen zu deiner Aussage spannen, Ulvi, dass HR weniger verwalten und mehr gestalten muss: Dafür sind teilweise auch neue, andere Persönlichkeiten notwendig! Und eine andere Narrative. Eine harte Frage, die ich Kunden immer wieder stelle, lautet: Was ist der Zweck der Existenz Ihres Unternehmens? Und wenn als Antwort dann kommt „Wir verkaufen Dachziegel“, fehlt eben das entsprechende Storytelling. Besser wäre: „Wir sorgen dafür, dass Sie ein Dach über dem Kopf haben“, „dass sie bei Regen nicht nass werden“ etc. Solche emotionalen und wertegeladenen Geschichten sind nicht nur für Kunden gut, sondern eben auch für potenzielle Bewerber.

Matthias Krebs - (Foto: neuessichten - Detlef Szillat)

Das sehe ich ähnlich. Wer für Greenpeace arbeitet, braucht kein Purpose, weil er weiß, wo er ist und was er macht. Es gibt also eine sinnstiftende Arbeit. Für einen Dachziegelhersteller muss so ein Purpose aber erstmal entwickelt werden.

Nun heißt es ja oftmals, dass zwei Drittel der Mitarbeitenden bereits innerlich gekündigt hätten. Wie gehst du mit solchen Menschen um, damit sie wieder Spaß bei der Sache haben?

Genau aus diesem Grund konzentriere ich mich nicht nur auf das Recruiting, sondern integriere die Bereiche Recruiting, Employer Branding und Unternehmenskultur unter einem gemeinsamen Dach. Alles beginnt immer mit der Kultur. Ein praktisches Beispiel:

Ein Unternehmen hatte kürzlich 20 bis 30 Mitarbeiter in sehr kurzer Zeit verloren und fand keine Nachfolger. Mein Auftrag wäre es gewesen, eine Employer-Branding-Strategie zu entwickeln und das Recruiting zu leiten. Ich hätte diese Aufgabe einfach übernehmen können, aber das hätte nur kurzfristig das Problem überdeckt. Stattdessen habe ich nach den Gründen für die Kündigungen gefragt und herausgefunden, dass es sich um ein kulturelles Problem handelte.

Hätte ich lediglich eine Branding-Strategie und das Recruiting umgesetzt, wären bald erneut Mitarbeiter gegangen, da die Unternehmenskultur nicht den aktuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter entsprach. Das wäre nicht nachhaltig gewesen. Deshalb beginne ich immer mit der Kultur. Mein Ansatz ermöglicht es, genau zu analysieren, in welchen Bereichen das Unternehmen gut aufgestellt ist und wo es noch professionelle Unterstützung benötigt.

Bevor du diesen ganzheitlichen Ansatz fahren kannst, musst du die Verantwortlichen doch erst einmal überzeugen.

Absolut. Das richtige Mindset muss schon in der Geschäftsführung vorhanden sein. Nur, wenn das Top-Management versteht, dass die Menschen das wichtigste Gut im Unternehmen sind, kann mein Ansatz greifen. Wenn dieses Mindset nicht gegeben ist, kann ich das Unternehmen nicht weiterentwickeln.

Und das thematisierst du in deinem Vortrag „Personal – der Game-Changer Nr.1“?

In meinem etwa 45-minütigen Impulsvortrag ziele ich darauf ab, Personalentscheider und Topmanager für zukünftig relevante New-Work-Themen zu sensibilisieren. Ich erörtere, wie sie ihre Unternehmen durch Anpassungen in Prozessen und Strukturen zukunftsfähig gestalten können und dass das letztendlich auch ihr Unternehmensergebnis verbessert. Dabei gehe ich ins Detail und präsentiere konkrete Ansätze, die Verantwortliche umsetzen können, um sich effektiv auf die Zukunft vorzubereiten. Interessanterweise sind diese Maßnahmen oft nicht mit hohen Kosten verbunden. Es geht vielmehr darum, die richtigen Hebel in Bewegung zu setzen und zu wissen, welche KPIs besonders aussagekräftig sind.

Kannst uns einen solchen Hebel nennen?

Klar. Nehmen wir das Bewerber-Management-System und die Frage: Wie schaffen wir es, dass mehr Bewerbungen auf unsere Stellen bei uns ankommen?

Die Antwort ist einfach: Wir sollten die Hürden für eine Bewerbung so niedrig wie möglich halten. Dieser Ansatz ist vergleichbar mit dem Check-out-Prozess im E-Commerce: Je mehr Hindernisse ein Käufer überwinden muss, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er den Kaufvorgang abbricht. Bei Bewerbungen verhält es sich ähnlich.

Warum ist es notwendig, dass Kandidaten stets ein Motivationsschreiben einreichen? Für die erste Auswahlphase genügt es, zu wissen, dass eine Person die erforderlichen Qualitäten hat oder das Potenzial besitzt, diese zu entwickeln.

Sogar der Lebenslauf könnte durch einen einfachen LinkedIn-Link ersetzt werden. Indem Unternehmen niedrigere Bewerbungshürden setzen, steigern sie die Wahrscheinlichkeit, mehr Bewerbungen zu erhalten. In einer späteren Phase können dann weitere Unterlagen angefordert werden, aber initial sollte der Bewerbungsprozess möglichst einfach gestaltet sein. Über diese Thematik spreche ich in meinem Vortrag.

Gibt es bestimmte Standards, die heute in einer neuen Generation nicht mehr verhandelbar sind?

Kicker und Obstkörbe sind heute nicht mehr die Anreize, die sie einmal waren; sie sind zum Standard geworden und gehören nicht mehr in eine Stellenanzeige. Zudem sollten wir die Generation Z nicht unterschätzen. Diese jungen Menschen möchten etwas bewirken und sind sehr gestaltungsfreudig. Ihr Ansatz unterscheidet sich jedoch von anderen Generationen: Sie schätzen die Freiheit, beispielsweise vier Wochen in Portugal surfen zu können und dabei aus dem Home-Office zu arbeiten. Dies verdeutlicht, dass sich die Art und Weise, wie gearbeitet und wie Arbeit in das Privatleben integriert wird, wandelt. Um solche Bewerber zu gewinnen, müssen Unternehmen heute sehr flexibel sein – und neuen Beschäftigungsmodellen offen gegenüberstehen.

:devider:

Wie misst du den Erfolg deiner HR-Projekte? Gibt es spezifische KPIs oder Feedback-Systeme, die du bevorzugst?

Das kommt immer auf die Unternehmenssituation an. Ich habe für mich ungefähr 30 relevante KPIs definiert, die erfolgskritisch sind. Als Beispiel: Ein wichtiger Wert, den Unternehmen heute kennen sollten, ist die „Time-to-Hire“, also die Zeit, die benötigt wird, um eine offene Stelle zu besetzen. Der Durchschnitt liegt aktuell bei 122 Tagen. Je länger eine Stelle unbesetzt bleibt, desto kostspieliger wird es für das Unternehmen. Ein weiteres KPI ist als Beispiel die „Time-to-Response“, die durchschnittliche Zeitspanne vom Bewerbungseingang bis zum Erstkontakt. Die liegt in TOP-Unternehmen unter 2 Stunden.

Das ist wie die Reaktionszeit beim Service.

Genau. Eine schnelle Rückmeldung hat einen großen Einfluss darauf, wie sich Kunden oder eben Bewerberinnen behandelt fühlen. Eine schnelle, wenn auch vorläufige Antwort wie „Vielen Dank für Ihre Bewerbung, wir melden uns morgen bei Ihnen“ kann bereits einen positiven Eindruck hinterlassen.

Die Krankenquote pro Abteilung ist ein weiterer KPI, der aufschlussreich sein kann. Eine überdurchschnittlich hohe Krankenquote in einer Abteilung kann auf Probleme wie zu hohen Arbeitsdruck oder allgemein eine negative Arbeitskultur hinweisen.

Ebenso ist die Fluktuationsquote von großer Bedeutung, da sie viel über die Organisationskultur aussagt. Solche KPIs sind für Unternehmen wichtig, denn sie liefern unverfälschte Daten und dienen als Frühwarnsystem für potenzielle Probleme. Oder, wie wir im Sport sagen: Die Tabelle lügt nicht.

:devider:

Ich empfehle Unternehmen immer, sich auf der Bewertungsplattform Kununu umzusehen, um ein klares Bild davon zu bekommen, wie sie wahrgenommen werden. Es gibt oft einen Unterschied zwischen dem eigenen Selbstbild (Image) und der Außenwahrnehmung (Reputation). Wenn Image und Reputation übereinstimmen und beide positiv sind, zeigt das, dass das Unternehmen vieles richtig macht. Dies ist ein wichtiger Indikator für die Attraktivität eines Unternehmens als Arbeitgeber.

Genau, ich sehe das Employer-Branding als das Image des Unternehmens an, während die Reputation letztendlich die wahre Unternehmenskultur widerspiegelt. Die Plattform Kununu ist besonders empfehlenswert, weil potenzielle Bewerber dort nicht nur einen Einblick in die tatsächliche Unternehmenskultur erhalten, sondern auch erfahren können, wie das Unternehmen mit Mitarbeitenden im Trennungsprozess umgeht.

Ich habe sogar Fälle erlebt, in denen entlassene Mitarbeiter eine positive Bewertung auf Kununu hinterlassen haben, weil der Trennungsprozess und das Off-Boarding transparent und sozialverträglich gestaltet waren. Dies zeigt, dass sie sich auch in dieser letzten Phase des Employee-Life-Cycles gut betreut fühlten.

Off-Boarding, ein spannendes Thema. Ein professionelles Off-Boarding ist vielen Unternehmen wohl gar nicht bewusst. Offen gestanden: Ich kannte dieses Wort auch nicht.

Ein weiteres, oft unterschätztes Konzept ist das „Pre-Boarding“, also die Betreuungsphase zwischen dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung und dem eigentlichen Arbeitsbeginn eines neuen Mitarbeiters. Diese Phase kann zwischen vier Wochen und sechs Monaten liegen – und sie ist kritisch, da in dieser Zeit viel passieren kann, was die Entscheidung des neuen Mitarbeiters beeinflussen könnte.

Nehmen wir an, der Vertrag ist unterschrieben, und der Arbeitsbeginn ist in drei Monaten. Wenn in dieser Zeit keinerlei Kontakt zwischen dem neuen Mitarbeiter und dem Unternehmen besteht, bleibt die Bindung schwach. Sollte sich dann ein anderer Personaler mit einem attraktiven Jobangebot melden, könnte der neue Mitarbeiter geneigt sein, dieses Angebot zumindest in Betracht zu ziehen, da keine starke Bindung zum neuen Arbeitgeber besteht.

Ein gegenteiliges Szenario wäre, wenn die neue Mitarbeiterin bereits innerhalb kürzester Zeit nach der Vertragsunterzeichnung eine herzliche Nachricht via WhatsApp von einem Personalverantwortlichen, einem Vorgesetzten oder einem Teammitglied erhält, wie zum Beispiel: „Wir freuen uns auf dich! Bald geht es los!“ oder „Wir möchten dich schon mal zum nächsten Team-Event einladen, hast du Lust?“ Solche Gesten können auf emotionaler Ebene eine Bindung und ein inneres Engagement bei der neuen Mitarbeiterin fördern. Erhält sie nun ein anderes Jobangebot, wird sie wahrscheinlich anders darauf reagieren.

Das verdeutlicht, wie wichtig Kultur, Wertschätzung und effektives Employer-Branding sind – und das alles ist keine Raketenwissenschaft!

Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Wie gehst du in deiner Arbeit mit dem Thema der digitalen Transformation und New Work um?

Zum Thema New Work sage ich immer, man muss nicht über jedes Stöckchen springen, nicht jeder braucht eine Vier-Tage-Woche. Aber: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass die Babyboomer weniger werden. Und wir müssen uns mit Menschen beschäftigen, die werteorientierte Unternehmen bevorzugen. Das heißt, die Unternehmenskultur und somit auch das Thema Employer-Branding werden zunehmend wichtiger. Das sind die größten Herausforderungen. Der Personalmangel ist nur eine Nebenerscheinung. Wer heute eine Kultur etabliert, mit der sich die Mitarbeitenden identifizieren können – und dann noch gutes Branding macht – hat es im reinen Recruiting hinterher leicht.

Kritiker könnten argumentieren, dass interimistische HR-Führungskräfte nur kurzfristige Lösungen bieten und möglicherweise nicht tief genug in die Unternehmenskultur eintauchen können, um einen langfristigen Wandel zu bewirken. Was entgegnest du solchen Kritiken?

Ich lege Wert darauf, nachhaltig zu wirken. Die Maßnahmen, die ich implementiere, sollen dem Unternehmen langfristige Vorteile bieten. Ich entwickle Ziele und Maßnahmen nicht im Alleingang, sondern in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Mitarbeitern. Sobald diese die Änderungen in ihrer Kultur und ihren Handlungsweisen verankert haben, sehe ich meine Aufgabe als erfüllt an.

Deshalb biete ich ein 360-Grad-Konzept an, das darauf abzielt, Probleme nicht nur oberflächlich zu behandeln, sondern die Ursachen grundlegend anzugehen und dauerhafte Veränderungen zu bewirken.

Ich arbeite daran, HR-Abteilungen so umzugestalten, dass sie sich von der reinen Verwaltungsfunktion lösen und zu proaktiven Gestaltern werden. Dazu biete ich Sparring-Sessions an, in denen ich die Beteiligten über einen bestimmten Zeitraum hinweg weiter begleite und challenge, um ihre Fähigkeiten zu verbessern.

:devider:

Und hier die PDF Version:

Danke für das Gespräch Matthias!

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